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Was man über den Versandhandel "zur Rose" wissen sollte

Die Migros hat eine Kooperation mit der Versandapotheke "Zur Rose" eingeleitet. Geplant ist, in Migros-Filialen eine Nische für Apotheken einzurichten. Gleichzeitig hilft Migros mit bei der Werbung für Zur Rose. Zur Rose tritt gern als Kämpfer für tiefere Medikamentenpreise auf. Allerdings gibt es da einige Dinge, die man über ihr Geschäftsmodell und den Versandhandel wissen sollte.

Grafik: Carpathia
Grafik: Carpathia

Eine Firma in der Hand von Ärzten

 

Zur Rose war ursprünglich eine Apotheke in Steckborn, Kanton Thurgau. Als sich kein Nachfolger fand, sprang der Jurist Walter Oberhänsli ein und verwandelte den Betrieb in ein Versandhaus. Lange Zeit war Zur Rose in der Hand von Ärzten und fungierte zunächst als Grossist für Arztpraxen. Der Versandhandel wurde eingeführt, um den Verdienst der Ärzteschaft am Medikament auch in jenen Kantonen zu ermöglichen, in denen Ärzte keine Medikamente abgeben dürfen.

 

Zur Rose bediente sich dabei illegaler Mittel: Sie bezahlte Honorare an Ärzte, die das Rezept an Zur Rose einschickten, statt es dem Patienten auszuhändigen. Zudem wurde Patienten die Herausgabe des Rezepts auf Verlangen verweigert. 2015 entschied das Bundesgericht, dass dies eine Umgehung des Abgabeverbots darstellt und dass die gewährten Honorare Bestechungszahlungen darstellen.

 

Zur Rose mischt auch im Ausland mit: Sie ist Besitzerin der grosen niederländischen Versandapotheke DocMorris, welche nach Deutschland liefert, ohne sich dabei an deutsche Gesetze halten zu müssen.

 

Verletzung der Sorgfaltspflicht

 

In der Schweiz ist ein Arztrezept Voraussetzung für den Versand von Medikamenten. Um aber auch rezeptfreie Medikamente ohne Arztbesuch verkaufen zu können, kreierte Zur Rose einen Online-Fragebogen, der intern die Ausstellung eines Rezepts ermöglichen soll. Das stellt klar die Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht dar: Ein seriöser Arzt macht keine Beurteilung nur aufgrund eines Fragebogens ohne persönlichen Kontakt.

 

Entsprechend verlangt das neue Heilmittelgesetz explizit den persönlichen Kontakt mit einer Fachperson, bevor ein Medikament bezogen werden kann.

 

Die falschen Versprechungen des Versandhandels

 

Der Versandhandel wirbt damit, dass durch die Heimlieferung von Medikamenten die Versorgung und die Therapietreue verbessert werden. Apotheker wissen aber: Die Therapietreue ist ein komplexes Thema.

 

Nur etwa die Hälfte der Patienten nehmen ihre Medikamente wie verordnet. Der Mangel an Informationen, Bedenken zu Nebenwirkungen und die Frage nach der Notwendigkeit sind die wesentlichen Gründe, weshalb Medikamente nicht eingenommen werden.

 

Das Medikament einfach nur nach Hause zu schicken, kann im Gegenzug zu Abfallbergen mit Nebenwirkungen führen: Es wird geschätzt, dass jährlich ungebrauchte Medikamente im Wert von 500 Millionen Franken ungebraucht entsorgt werden. Der Versandhandel wird diese Problematik nicht unbedingt lösen, eher im Gegenteil.

 

Ungleiche Bestimmungen

 

Für den regulären Abgabekanal verlangt das Gesetz sehr strikte Vorschriften, etwa bei der Lagertemperatur. Das geht so weit, dass sogar die Lieferwagen der Grossisten, die nur einige Stunden unterwegs sind, mit Klimaanlagen ausgerüstet werden mussten.

 

Bei Postversand existieren solche Richtlinien nicht. Entsprechend gibt es mehrere Fälle, in denen Medikamente, die eigentlich gekühlt werden müssen, zu lange mit der Post unterwegs waren und als nutzloser Abfall beim Patienten ankamen. Oft handelt es sich dabei um Antikörpermedikamente, die hunderte oder tausende von Franken pro Packung kosten.

 

Ausschalten der lokalen Apotheke

 

In der Debatte um den Versandhandel wird die Apotheke gerne als veraltet und die Apotheker als mächtige Lobby dargestellt. Realität ist: Die Apotheker sind im Gesundheitswesen eine kleine Minderheit. Die Apotheke fungiert nicht einfach als Abgabestelle. Sie ist der direkte Ansprechpartner der Patienten bei ärztlichen Verschreibungen, die unkomplizierte Anlaufstelle bei medizinischen Beschwerden und der wertvolle Helfer in Notfällen.

 

Gibt es in der Umgebung keine Apotheke, muss für jede medizinische Bagatelle der Arzt oder sogar der nächste Spitalnotfall aufgesucht werden. Die Kostenfolgen sind horrend. Zudem ist das Medikationsdossier der Apotheke ein wichtiger Mechanismus für die Patientensicherheit. Zur Rose bietet das nicht - wir erinnern uns, Zur Rose ist eine Ärztefirma, welche diese Aufgaben lieber im festen Griff des Arztes sieht.

 

Zwar möchte Zur Rose nun ebenfalls lokale Apotheken einrichten - mit Flächen von 30-50 Quadratmetern. Dazu gilt es allerdings zu beachten: Um eine kantonale Betriebsbewilligung zu erhalten, muss eine Apotheke über ein Labor, einen Tresor für Betäubungsmittel, einen feursicheren Raum für Chemikalien, ein geeignetes Lager und Toiletten verfügen. Zudem ist ein separater Beratungsraum für viele Dienstleistungen zwingend. Es ist kaum anzunehmen, dass dies auf der Fläche von zwei Kinderzimmern Platz hat.

 

Bagatellisierung des Arzneimittels

 

Beim allgegenwärtigen Trend zum Onlinehandel scheint es selbstverständlich, dass auch Medikamente online gekauft werden. Aber es kann nicht oft genug gesagt werden: Das Medikament ist kein normales Konsumgut. Es ist ein spezifisches Bedarfsgut, das nur bei richtiger Anwendung nützt und bei falscher Verwendung grossen Schaden verursachen kann. Der direkte Bezug zu einer Fachperson ist daher eine Notwendigkeit.

 

In den USA, wo Medikamente schon länger ohne fachlichen Kontakt gekauft werden können, ist sind die Konsequenzen längst spürbar: Überdosierungen mit dem Schmerzmittel Paracetamol (Panadol, Dafalgan, etc.) sind dort Ursache Nummer Eins für Leberversagen.

Gesetz der Masse

 

Zur Rose wirbt mit tieferen Preisen. Doch Aldi und Co. lehren uns: Wer billig sein will, muss entsprechend mehr Masse verkaufen. Genau das ist im Gesundheitswesen jedoch nicht erwünscht. Wenn wir die Kontrolle über die Gesundheitskosten gewinnen wollen, müssen wir den Mengenanreiz ausschalten. Das heisst Entlöhnung für Aufwand und Qualität statt Belohnung für überflüssige Mengen.

 

Aus diesem Grund arbeiten Apotheken auf der Basis eines Tarifsystems mit Pauschalen, in denen Abgabe, Führung des Medikationsdossiers, Betreuung chronisch Kranker und weiterer Dienstleistungen abgegolten wird. Zur Rose wirbt gerade damit, diese Tarife nicht zu verlangen - also muss der Verdienst auf anderem Weg gemacht werden. Mit Masse eben.

 

Fazit

 

Die Migros und Zur Rose bewerben ihr Angebot als innovativ und praktisch für den Konsumenten. Die Migros möchte gross in den Wachstumsmarkt Gesundheitswesen einsteigen: Sie hat mit Medbase bereits eine Kette von Arztpraxen gekauft und eröffnet dieses Jahr eine Gesundheitsplattform, um ihre Produkte zu vermarkten. Für Zur Rose ist dies die perfekte Gelegenheit, um sich in Szene zu setzen und im Hintergrund die Interessen der Ärzteschaft zu verfolgen.

 

Tatsache ist aber: Die Migros ist im Gesundheitswesen ein Amateur. Sie hat das Gesundheitswesen als Wachstumsmarkt entdeckt, kennt aber weder die professionellen noch die wirtschaftlichen oder gesetzlichen Fallstricke des Gesundheitswesens. Aus ganzheitlicher Perspektive bringen tiefere Preise keine Einsparungen. Nur mit einem durchdachten Konzept für die Betreuung und Versorgung werden wir im Gesundheitswesen Einsparungen erzielen.

 

Für die ganzheitliche und patientenorientierte Ausrichtung der Versorgung braucht es diejenigen, die am besten über das Medikament Bescheid wissen: die Apotheker. Sie werden sich mittelfristig ebenfalls mit den neuen Technologien befassen und ihr Angebot anpassen. Im Gegensatz zu Migros und Zur Rose steht aber nicht der Profit an oberster Stelle, sondern die Professionalität und die Beziehung zu den Patienten, die sie teils schon seit Jahrzehnten kennen.

 

Update:

Zur Rose hat im Juni 2017 nun einen öffentlichen Börsengang angetreten, um mehrere hundert Millionen Franken Kapital zu beschaffen. Insbesondere in Deutschland wird Expansion angestrebt. Konsumentinnen und Konsumenten sollten sich fragen, ob solche Grossfirmen wirklich nach dem Interesse der Patienten handeln oder nicht doch für das eigene Portemonnaie.

 

Wenn medizinische Leistungen und Produkte nicht mehr nach professionellen und berufsethischen Prinzipien, sondern nur noch nach dem ökonomischen Prinzip Angebot und Nachfrage angeboten werden, ist bereits heute sicher, wohin die Gesundheitskosten gehen werden: Nach oben. Für die Schweiz mit ihrem solidarisch finanzierten Gesundheitswesen wären die Folgen katastrophal.

Autor:

Florian Sarkar, eidg. dipl. Apotheker

 

Quellen:

 

World Health Organization (2003). Adherence to long-term therapies: evidence for action . Geneva: World Health Organisation. ISBN 92-4-154599-2.

 

http://www.santesuisse.ch/de/dyn_output.html?content.vcid=6&content.cdid=1318&detail=yes&navid=96

 

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2504411/

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Kommentare: 1
  • #1

    FiveEyes (Dienstag, 02 April 2024 06:13)

    "Zur Rose" verletzt den Datenschutz. Ohne Erlaubnis der Patienten werden hinterrücks offenbar Krankenkassen kontaktiert, um herauszufinden, wo man versichert ist und rechnet dann direkt ab. Und dies, obschon man bewusst keine Angaben zur Krankenkasse gemacht hat und lieber selbst die Rechnung einreichen will. Vielleicht will man sie auch gar nicht einreichen und einfach selbst bezahlen. Dem Unternehmen kann man auf jeden Fall nicht vertrauen.

    Aus Datenschutzgründen habe ich den Namen FiveEyes verwendet.