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Therapie ist kein Zustand, sondern ein Weg

Eine gute Therapie ist wie ein Schiff: Kurskorrekturen zur rechten Zeit schützen vor dem Aufprall mit dem Eisberg. Wir mögen Gewohnheiten und eingependelte Zustände. Das gilt auch für die Behandlung von Krankheiten: immerhin bleiben viele Behandlungen über Jahre gleich. Aber die damit verbundene Sicherheit kann trügerisch sein.

Gute Navigation schützt vor dem Zusammenprall mit dem Eisberg. Mit freundlicher Genehmigung  von Dawie Mal, www.dawiemalan.com/
Gute Navigation schützt vor dem Zusammenprall mit dem Eisberg. Mit freundlicher Genehmigung von Dawie Mal, www.dawiemalan.com/

Ich hab das doch schon seit 20 Jahren...

Wenn man sich bei Patienten erkundigt, wie sie mit den Medikamenten zurecht kommt, dann kommen häufig Antworten wie "Ich hab das schon seit Jahren" oder "Jaja, ich kenne das". Bleibt die Therapie über längere Zeit die Gleiche, so muss nach ihrem Empfinden auch ihr persönlicher Zustand ebenso der Gleiche sein.

 

Dieses Gefühl der Behandlung als bleibender Zustand ist allerdings trügerisch. Viele Veränderungen kommen schleichend und können, wenn nicht rechtzeitig angesprochen, ins Unglück führen.

 

Schätzungsweise 20'000 Menschen landen jedes Jahr wegen Problemen mit den Medikamenten im Spital. Rund ein Viertel der Senioren werden mit Medikamenten behandelt, die gar nicht für sie geeignet sind. Und bei etwa 42'000 Patienten enthält die Behandlung potentiell gefährlich Wechselwirkungen. 

 

Viele dieser Probleme könnten von vornherein verhindert werden - aber eben nur, wenn jemand sich aktiv darum kümmert.

Der Körper verändert sich

Der menschliche Körper macht mit dem Alter grosse Wandlungen durch. Der Wasseranteil nimmt ab, die Organe arbeiten langsamer. Die nachlassende Körperkraft hat Einfluss auf das Gleichgewicht, Menschen stürzen häufiger. Und weil die Knochen schwächer werden, führen Stürze häufiger zu Knochenbrüchen.

 

Daher werden Medikamente mit der Zeit immer schlechter vertragen und Nebenwirkungen zeigen sich deutlich häufiger oder mit grösseren Folgen.  Entsprechend gibt es Listen von Medikamenten, die bei Personen ab 65 Jahren nicht mehr zum Einsatz kommen sollen, weil die Nebenwirkungen schlicht überwiegen. 

 

Zum Beispiel soll das rezeptfreie Schlafmittel Benocten im Alter nicht mehr angewendet werden: Probleme wie Morgenschläfrigkeit oder Gedächtnisstörungen schlagen im Alter viel stärker durch und überwiegen den Nutzen als Schlafmittel.

Die Krankheit verändert sich

Patienten befinden sich in Langzeitbehandlung, weil sie an einer chronischen Krankheit leiden. Bei den meisten Erkrankungen handelt es sich nicht um eine einmalige Veränderung, die für den Rest des Leben gleich bleibt. 

 

In der Regel verändert die Krankheit den Körper fortlaufend. Diabetes zum Beispiel führt nicht einfach nur zu einer Überzuckerung, welche gefährliche Folgen wie Verwirrtheit und Koma hat. Über die Jahre werden auch das Herz, das Augenlicht, die Nieren oder die Beine in Mitleidenschaft gezogen. 

 

Aus diesem Grund bedürfen Krankheiten der fortlaufenden Überwachung, zum Beispiel mit Laborkontrollen. Dadurch kommt es auch zu Umstellungen bei den Medikamenten. Das Ziel ist, schwerwiegende Komplikationen zu vermeiden und die Lebensqualität beim Maximum zu erhalten.

Nicht nur Medikamente, sondern auch Lebensstil-Änderungen gehören zur Therapie
Nicht nur Medikamente, sondern auch Lebensstil-Änderungen gehören zur Therapie

Die Wirkung von Medikamenten verändert sich

Wie Medikamente wirken, hängt von verschiedenen Umständen ab. Alter und Ausprägung der Krankheit sind zwei davon. Aber auch die Anwendungsweise hat einen Einfluss.

 

Wenn rezeptpflichtige Schlafmittel zum Beispiel als Reserve eingenommen werden, erzielen sie im Normalfall ihre Wirkung. Wenn die Reserve aber zur regelmässigen Therapie wird, führt dies zu veränderten Wirkungen: Abhängigkeit stellt sich schon nach einigen Wochen ein, und in der Langzeittherapie vermindert sich häufig die Wirkung - man schläft zwar nicht mehr besser mit, aber deutlich schlechter ohne.

 

Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist die korrekte Anwendung. Bei der Handhabung von Inhaliergeräten für Lungenerkrankungen können sich über die Zeit Fehler einschleichen - dies wiederum kann die Wirkung des Medikaments deutlich vermindern. 

Apotheker als Berater und Wegweiser in der Therapie

In der Apotheke haben wir ein tiefgreifendes Verständnis für Medikamente und ihre Anwendung. Patienten erhalten hier nicht einfach nur Medikamente, sondern können auch jederzeit Fragen stellen oder zusätzliche Angebote in Anspruch nehmen. 

 

Ein Polymedikations-Check zum Beispiel verschafft Patienten eine gründliche Übersicht über die eigene Therapie und die Gelegenheit, über Probleme zu sprechen, die über die einfache Anwendung hinausgehen. Auch Messungen zur Kontrolle oder Vorsorge für andere, häufig gemeinsam auftretende Krankheiten sind möglich.  

 

Der Apotheker kann aus solchen Leistungen Empfehlungen herleiten, die dem behandelnden Arzt helfen, die Therapie zu optimieren. Eine solche Zusammenarbeit verbessert nicht nur die Qualität, sondern senkt auch Kosten.

 

Neben der Medikamententherapie spielen auch nicht-medikamentöse Massnahmen eine grosse Rolle. Ihr Wert wird häufig unterschätzt - meinen Patienten doch häufig, dass nichts mehr zu machen sein, wenn man schon krank ist. Der Einfluss auf die Lebensqualität und den Krankheitsverlauf ist aber beträchtlich. Beispiele dafür sind Beratungen zu Ernährung und Schlaf.

Autor:

Florian Sarkar, eidg. dipl. Apotheker

 

Quellen:

Varja A Meyer et al, Schweizer Ärztezeitung, 2012; 93: 1595-9

 

Oliver Reich et al.: Potentially Inappropriate Medication Use in Older Patients in Swiss Managed Care Plans: Prevalence, Determinants and Association with Hospitalization. PlosOne August 2014 | Volume 9 | Issue 8 | e105425

 

Falscher Medikamenten-Cocktail für 42'000 Schweizer Patienten, Aargauer Zeitung 2013

 

Pillencocktails: So können Altersheim-Patienten einfach und günstig geschützt werden, Aargauer Zeitung 2018