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Wenn Krankenkassen ihre Inkompetenz zur Schau stellen

Es gibt Krankenkassen, die ihren Patienten den Medikamentenbezug bei einem Versandhändler empfehlen, weil die Medikamente dort etwas billiger sind. Angesichts der Kostendynamik im Gesundheitswesen ist dies aber ein klassischer Schildbürgerstreich.

Mit solchen Briefen fordert Visana ihre Versicherten dazu auf, Medikamente online zu beziehen.
Mit solchen Briefen fordert Visana ihre Versicherten dazu auf, Medikamente online zu beziehen.

Visana und ÖKK winken mit Migros-Gutscheinen

Die Krankenkassen Visana und ÖKK empfehlen ihren Versicherten mit jeder Abrechnung per Brief, die Medikamente beim Versandhaus Zur Rose zu beziehen. Man erhalte die Medikamente "praktisch und sicher geliefert", es gebe bis zu 10% Rabatt auf die Medikamente und es werden keine Tarifleistungen erhoben.

 

Versüsst wird das Angebot mit einem Migros-Gutschein von bis zu 50 Franken, wenn der Patient sein Dauerrezept an Zur Rose schickt. Den Patienten wird vorgegaukelt, sie würden etwas gegen die hohen Gesundheitskosten tun, wenn sie ihre Medikamente online beziehen. Einige Versicherte verstehen diesen Brief gar als Befehl und geben dem Druck nach.

Die Preis-Illusion

Viele Krankenkassen (und Politiker) sind der Meinung, dass die Gesundheitskosten sinken würden, wenn man die Medikamentenpreise senkt. So rechnet der Krankenkassenverband Santésuisse alle paar Monate mit einigen sehr abenteuerlichen Berechnungen vor, man könnte jedes Jahr 500 Millionen Franken beim Preis einsparen.

 

Nur: Die Medikamentenkosten machen nur 8% der gesamten und 16% der kassenpflichtigen Gesundheitskosten aus. Würde man tatsächlich 500 Millionen Franken einsparen, entspräche dies einer Senkung der Gesundheitskosten von 0.05%. Der Preis dafür: Die Hälft der Apotheken in der Schweiz müsste schliessen.

Die wirklichen Kosten entstehen hinter den Kulissen

Der Gedankengang tieferer Preis=weniger Kosten ist ein Denkfehler, der auf Unkenntnis des Gesundheitswesens basiert. Kosten spart man nicht durch einen günstigeren Preis, sondern durch den optimalen Einsatz des Medikaments. Denn anders als oft wahrgenommen, kosten Medikamente im Vergleich mit anderen Leistungskosten wenig: Eine Dreimonatspackung Blutdruckmittel kostet weniger als 20 Franken, Antibiotika  gibts schon ab sechs Franken. Eine Kleinpackung Betablocker kostet mit Fr. 4.80 so viel wie ein Cafe creme.

 

Teuer wirds hingegen, wenn Medikamente ohne triftigen Grund verordnet, falsch angewendet oder gar nicht erst eingenommen werden. So belaufen sich die Gesundheitskosten, die entstehen, weil Patienten ihre Medikamente nicht wie verschrieben einnehmen, auf mehrere Milliarden Franken jährlich. Diese Kosten entstehen zum Beispiel durch Aufenthalte im Spital oder teure Behandlungsverfahren wie Dialyse. Allein die ungeplanten Spitaleintritte wegen Problemen mit den Medikamenten belaufen sich auf etwa 70-100 Millionen Franken pro Jahr. Und mehrere hundert Millionen Franken liessen sich jedes Jahr sparen, wenn Ärzte Medikamente nach Richtlinien verschreiben würden, die in den Qualitätszirkeln Arzt-Apotheker behandelt werden.

 

Um Kosten zu senken, muss man das Medikament nicht billiger machen, sondern klüger einsetzen. Dafür braucht es Fachpersonen, die den Patienten unmittelbar zur Verfügung stehen und auch ein persönliches Verhältnis zu ihnen haben.

Versandhandel nutzt die Dynamik der Kostensteigerung

Wie alle Versandhändler baut Zur Rose ihr Geschäft letztlich darauf, Geld durch das Absetzen möglichst grosser Mengen zu verdienen - also das Gegenteil von dem, was im Gesundheitswesen erwünscht ist. So versendet Zur Rose zum Beispiel gleich Jahresvorräte, um Porto zu sparen. Wird das Medikament nicht genommen oder kurz darauf gewechselt, landet die Lieferung im Abfall, wie man in diesem Beispiel sieht:

Entsorgte Medikamente entsprechend einem Bedarf für 10 Monate, von Zur Rose geliefert. Bild: Pharmama-Blog
Entsorgte Medikamente entsprechend einem Bedarf für 10 Monate, von Zur Rose geliefert. Bild: Pharmama-Blog

Im Vordergrund stellt Zur Rose tiefere Kosten in Aussicht, weil es bei ihnen ja billiger ist. Es ist aber äusserst fraglich, ob wirklich Kosten gespart werden, wenn die eigentlichen Probleme der Patienten nicht angegangen werden und Mengen verschickt werden, die gar nicht verwendet werden, sondern im Abfall landen.

 

Die seit Jahren konstante Kostensteigerung im Gesundheitswesen wird vor allem auf das Mengenwachstum zurückgeführt. Dass Krankenkassen auf die Versprechungen des Versands hereinfallen, zeugt letztlich von mangelnder Kenntnis des Gesundheitswesens. Gerade die offene Wachstumsstrategie von Zur Rose sollte eigentlich Grund genug sein, etwas mehr Skepsis zu zeigen.

Die Apotheke bietet mehr als Medikamente

Krankenkassen unterliegen auch dem Irrtum, dass Apotheken nur Logistik für Medikamente betreiben würden. Versandhändler sehen sich daher gerne in der Rolle derjenigen, welche der altbackenen Apothekenzunft den Kampf ansagen.

 

Tatsache ist: Die Apotheke dient der Bevölkerung als Anlaufstelle für gesundheitliche Beschwerden, die Vorbeugung und Früherkennung von Krankheiten sowie allgemeine Gesundheitsfragen. Sie tut dies zu einem Bruchteil des Preises, den man bei Ärzten und anderen Spezialisten bezahlt. Krankenkassen wie Swica und Sympany haben das erkannt und bieten daher Apotheken-Modelle an, bei denen der Patient zuerst die Apotheke aufsucht, wenn ein Problem auftritt.

 

Trends wie der Versandhandel gefährden aber den medizinischen Service public der Apotheken.  Wenn Apotheken schliessen und die Leute dann zum Arzt oder Spitalnotfall gehen müssen, wirds für die Krankenkassen erst richtig teuer. Was vorher für 30 Franken in der Apotheke geregelt wurde, kostet beim Arzt über 100 Franken, auf dem Notfall über 300 Franken.

 

Patienten brauchen also kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie ihre Medikamente in ihrer Stammapotheke holen, im Gegenteil: Sie unterstützen eine Institution, die dabei mithilft, Medikamente clever und gezielt einzusetzen. Die damit erzielten Einsparung wiegen weit höher als das, was mit ein bisschen Rabatt gespart wird.


Autor:

Florian Sarkar, eidg. dipl. Apotheker

 

Quellen:

http://www.obsan.admin.ch/de/publikationen/gesundheit-der-schweiz-fokus-chronische-erkrankungen

 

Varja A. Meyer et al.: Schweizer Ärztezeitung 2012; 93; 1595-9

Schweizer Apotheken: Fakten und Zahlen 2016